Erfahrungen einer „Spielerfrau” zu den Auswirkungen der Spielsucht ihres Ehemannes
Die Wende in unserem Leben, auf die wir – mein Mann (jetzt 69) und ich (jetzt 65) – liebend gern verzichtet hätten, begann am 01.08.2002. An diesem Tag starb total unerwartet unser einziges Kind mit nur 31 Jahren, und von da an war nichts mehr wie es vorher war.
Wir hatten eine Tochter, wie man sie sich nur wünschen konnte: intelligent, fleißig, strebsam; gerade mit dem Studium fertig; bereit, beruflich und privat jetzt durchzustarten. Es war, als würde uns jemand den Boden unter den Füßen wegreißen.
Nun mussten wir alleine weitermachen. Damit nicht auch noch unsere Ehe „den Bach runter- ging”, haben wir versucht, viel über gemeinsame Gespräche aufzufangen; professionelle Hilfe wurde uns an mehreren Stellen verweigert, „mit diesem Schicksalsschlag müssten wir alleine klarkommen.”
Ich habe damals gedacht, dass ich wohl nie mehr so viele Tränen weinen würde wie in dieser Zeit. Wie gut, dass ich damals noch nicht ahnte, was mein Ehemann noch an „Schandtaten” für mich bereithalten würde.
Es begann, wie vieles im Leben, schleichend. Da eine Partnerschaft für mich gegenseitigen Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen bedeutet und mein Mann sein ganzes Berufsleben im Außendienst verbracht hat, hat es wohl eine Weile gedauert, bis ich stutzig wurde. Beim Blick auf unsere Online-Bankkonten dachte ich auf einmal, ich sei im falschen Film. In mir kam nicht nur Unverständnis für soviel Verantwortungslosigkeit, sondern auch eine unglaubliche Wut hoch. Wie konnte er sich derart an unserem Geld, das schließlich auch meins war, vergreifen!
Es folgte eine längere Zeit voller Lügen und Versprechungen, die natürlich nicht eingehalten wurden (Glaub mir, ich geh nie wieder spielen!), Selbstmitleid (Ich weiß, ich bin ein schlechter Mensch!) und dergleichen. Auf jeden Tag, an dem er spielen war und heulend, selbstanklagend und voller Selbstmitleid nach Hause kam, folgte ein Tag, an dem er wieder „frech wie Oskar” war. Und ich lebte jeden Tag in der Angst und der Ungewissheit, was er nun wieder anstellen würde. Mit wie viel Geld war er heute „dabei”?
Diese tägliche Warterei war so zermürbend, dass es bei uns, wenn er dann wieder spielen war und endlich heimkam, unglaublich krachte. Ich wusste einfach nicht, wohin mit meiner Wut, und habe ihn mit Schimpfwörtern regelrecht überschüttet; etwas, was es vorher in unserer Ehe so nicht gegeben hat.
Nun muss ich zu meiner Erklärung sagen, dass ich durch meine diversen Krankheiten ans Haus gebunden bin; ich bin 100 % schwerbehindert, habe eine Pflegestufe, soll wegen Epilepsie nicht mehr selber Auto fahren und bin außerhalb auf den Rollstuhl angewiesen. Diese Wehrlosigkeit hat mein Mann in gewisser Weise ausgenutzt, was mich natürlich noch mehr erbost hat. Meine einzige Chance, ein wenig zu retten, war, ihm die Bankvollmachten zu entziehen sowie die Scheckkarten einzukassieren.
Und dann kam etwas total Unverzeihliches: Als unsere Konten nichts mehr hergaben, unter- schlug er Geld seines Arbeitgebers und eines Vereins, für das er als Kassenwart tätig war. Es kam, wie es kommen musste: es flog irgendwann auf. Das Ende vom Lied: Ich dusselige Kuh habe ihm geholfen, das unterschlagene Geld zurückzuzahlen; die Anwaltskosten stottern wir noch ab bzw. stehen noch aus; über eine evtl. Geldstrafe wird demnächst vor Gericht verhandelt.
Dass ich die Zeit seiner Suchttherapie, insgesamt 12 Wochen, hier allein im Haus (ohne „Flucht”-Möglichkeit, Grund siehe zwei Kapitel zuvor) verbringen musste, war für mich, vor allem psychisch, die schlimmste Strafe, die man sich vorstellen kann. Ich will nicht theatralisch werden, aber die Verzweiflung war vor und während seiner Therapie mein täglicher Begleiter.
Aber ob sich mein Mann jemals vor Augen führen wird, was er mir in all diesen Wochen und Monaten angetan hat? Ich glaube kaum. Die ganze Tragweite, was er sowohl finanziell als auch ideell angerichtet hat, ist ihm, glaube ich, immer noch nicht bewusst. Jedenfalls ver- misse ich, seitdem er wieder hier ist, eine gewisse Bereitschaft, zumindest den psychischen Schaden auch nur ansatzweise wiedergutzumachen. Aber auch dass ich diese schwere Zeit zu ihm gehalten habe und es ja auch immer noch tue, scheint für ihn selbstverständlich zu sein. Eigentlich schade, dass er in der Therapie anscheinend nicht gelernt hat, mit mir darüber zu reden.